Ein Hannoveraner und ein Bayer diskutieren in dieser TRIOLOG-Ausgabe angeregt zu Nachhaltigkeitshemen. Der gegenseitige Austausch hat bereits Tradition. Er begann mit der Diskussion in einem sozialen Netzwerk über die Frage, wie sich eine defekte Kaffeemaschine nachhaltig reparieren lässt. Zwischen dem Landshuter Professor und dem ehemaligen Radprofi sowie Staatssekretär von Alabama (USA) entwickelte sich ein enger beruflicher und freundschaftlicher Kontakt. Gemeinsam gehen Prof. Dr. Reinhold Kohler, Studiengangsleiter für internationales Wirtschaftsingenieurwesen und Sustainable Industrial Operations and Business an der Hochschule Landshut und Dr. Hajo Drees, CEO der Berlin Institute Supply Chain Management GmbH Fragen nach wie: Was bedeutet Nachhaltigkeit, was bringt sie für den Mittelstand und wie können sich KMU auf politische oder klimatische Risiken besser vorbereiten?
Herr Dr. Drees, Sie haben als ehemaliger Radprofi Hunderte Kilometer und Tausende Höhenmeter in wenigen Tagen hinter sich gebracht: Brauchen in der aktuellen weltpolitischen und wirtschaftlichen Situation auch Unternehmen einen langen Atem?
Dr. Drees: Ja, ganz klar. Das wird jetzt in der Wirtschaft immer deutlicher und betrifft den finanziellen Aspekt genauso wie die Ressourcen, Arbeitskräfte und – wo ich mit Herrn Prof. Kohler im engen Austausch bin – die Lieferketten. Die Unternehmen brauchen Ausdauer und Weitblick sowie eine gewisse Geschwindigkeit, um nachhaltig zu wirtschaften. Ja, sie brauchen durchaus einen langen Atem – das ist schon seit der Coronakrise der Fall.
Prof. Kohler: Interessant in diesem Rahmen die Wertschöpfungskette als Ganzes, von der Rohstoffproduktion über die Herstellung bis hin zur Entsorgung und Recycling. Das Zirkuläre also. Interessant finde ich gerade eine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit der Frage befasst, welche Grundstoffe beim Rückbau von Kernkraftwerken unbedenklich und kostengünstig für den Hausbau wiederverwendet werden können, Beton beispielsweise.
Dr. Drees: …oder Carbon-Rahmen für Rennräder aus alten Flugzeugteilen.
Prof. Kohler: Es gilt dabei der Dreiklang der Nachhaltigkeit, also die ökologische, soziale und wirtschaftliche Verantwortung. Nachhaltig ist nur das, was diese drei Aspekte berücksichtigt. Auf diese drei Komponenten achten übrigens die Fonds-Gesellschaften bei Start-Up-Unternehmen immer stärker.
Dr. Drees: Und das mit Folgen für deren Finanzierungsmöglichkeiten. Denn durch das neue Lieferkettengesetz*, das ab 2023 in Kraft tritt und für bestimmte Unternehmensgrößen gilt, wird deutlich, dass die Kreditwürdigkeit von der Nachhaltigkeit einer Firma abhängt. Die Beweispflicht für Nachhaltigkeit hat geradezu einen Beratungsboom ausgelöst. Ich arbeite eng mit Wirtschaftsprüferinnen und -prüfern zusammen, die zunehmend zu Nachhaltigkeitsexperten geworden sind. Es ist ein Riesengeschäft!
Worauf müssen sich nun Mittelständler einstellen?
Dr. Drees: Im Lieferkettengesetz ist ganz klar geregelt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um als nachhaltig eingestuft zu werden. Die Unternehmen müssen beweisen, dass die gesamte Supply Chain den Auflagen entspricht. Was das angeht, damit sollten sich die KMU unbedingt eingehend befassen, denn ein Nichteinhalten hat Folgen. Wenn diese Auflagen nicht erfüllt werden, sind die Firmen nicht mehr gesetzeskonform. Die Kosten, die auf sie zukommen, lassen sich nur dann bewältigen, wenn sie im Endpreis eines Produkts abgedeckt werden können.
Was würden Sie den Unternehmen raten?
Dr. Drees: Der erste Schritt ist, dass sich Betriebe informieren und junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Sachen Nachhaltigkeit sensibilisieren und ausbilden.
Prof. Kohler: Ich finde, es ist nicht unbedingt nötig, eine neue Stelle zu schaffen. Vielleicht lässt sich im eigenen Betrieb jemand finden, der oder die für Nachhaltigkeitsthemen eine Affinität hat und bereit ist, sich einzuarbeiten? Wir sind gerade in einem recht gestalterischen Prozess. Der künftige Campus Dingolfing der Hochschule Landshut zum Beispiel soll klimaneutral, ja sogar klimapositiv, werden. Wie das wissenschaftlich genau berechnet werden kann, darüber wird allerdings noch diskutiert. Denn wieviel Kohlenstoffdioxid produziert denn ein Auto oder ein Flugzeug, aufgebrochen auf einzelne Teilkomponenten?
Ist Nachhaltigkeit zum wichtigen Imagefaktor geworden?
Prof. Kohler: Ja, es geht auch um das Unternehmensimage. Unternehmen können sich inzwischen speziell zertifizieren beispielsweise durch Nachhaltigkeitsreporting oder -siegel. So ähnlich wie bei der Lebensmittelampel auf Verpackungen.
Dr. Drees: Da fallen mir gerade Ananas-Fasern ein, aus denen eine Start-Up-Firma Schuhe für Adidas herstellt. Wir im Berlin Institute arbeiten mit Herstellern aus der Luft-, Automobil- und Off-Road- sowie Schienensparte zusammen, die solche Materialien für ihre Sitze bestellen. Nachhaltige Schuhe oder Sitze aus Ananasfaser – ein großer Imagegewinn!
Doch selbst mit einem guten Image können Firmen plötzlich in große Schwierigkeiten geraten. Wie können sich KMU gegen politische Krisen wappnen?
Dr. Drees: Große Autokonzerne – und das betrifft Mittelständler genauso – müssen sich genau überlegen, wo sie ihre Werke hinstellen und sich fragen: Wie gestalte ich meine Lieferkette nachhaltig, um meine Produktionswerke vor Risiken oder in Krisenzeiten zu schützen? Kundennähe ist ein wichtiger Faktor. Hauptsache ist, dass die Kundschaft bedient werden kann und die Produktion nicht stillsteht. Ich rate deshalb dazu, die Schwachstellen der eigenen Supply Chain herauszufinden.
Es sind viele Aspekte, die es in Sachen Nachhaltigkeit zu beachten gilt. Was möchten Sie, Herr Kohler, den Studierenden Ihres neu konzipierten Studiengangs „Sustainable Industrial Operations and Business“ vermitteln?
Prof. Kohler: Die Brandbreite der Themen ist groß. Die Studierenden sollen das Mindset mitbekommen, den Blick fürs Große und Ganze, inklusive Risk Management. So vielseitig sind auch die Unterrichtsmodule: technisch, wirtschaftlich, international, mit KI-Komponente. Die Studierenden sollen lernen, in der Produktion als „grünes Gewissen“ mitzuwirken.
Das Interview führte Sabine Polacek
*„Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“
Prof. Dr. Reinhold Kohler ist Professor für International Management und Business Administration an der Fakultät Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Landshut. Er ist Studiengangsleiter für internationales Wirtschaftsingenieurwesen und des neuen Studiengangs „Sustainable Industrial Operations and Business“. Seine Karriere begann Kohler als Luftwaffenoffizier bei der Bundeswehr, wo er Elektrotechnik studierte. Nachdem er seine militärische Ausbildung in Texas, absolviert hatte, wurde Kohler in der Flugabwehr in der Region Husum stationiert. Nach zwölf Jahren beim Bund wechselte er in die Wirtschaft, zu Airbus. Dort war er in den vergangenen Jahren für den Bereich Planung, Controlling und Reporting für unbemannte Luftfahrzeuge (Drohnen) verantwortlich. In diese Zeit fällt auch seine Promotion zu Leadership in internationalen Großorganisationen an der Comenius Universität Bratislava. Seit 2020 engagiert sich Kohler wieder als Reservist und berät das Kommando Luftwaffe als Grundsatzreferent Ausbildung und Oberstleutnant d.R.
Dr. Hajo Drees ist CEO der Berlin Institute Supply Chain Management GmbH, die Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammenbringt und bei der Anbahnung und Vertiefung von Geschäftsbeziehungen im Bereich Logistik-, Innovations- und Produktionsprojekten unterstützt. Zuvor war Drees in den USA als Dozent und Direktor der Samford University tätig und als Staatssekretär (Director of European Business Development) im Wirtschaftsministerium des Staates Alabama für Wirtschaftsförderung verantwortlich. Im Herbst dieses Jahres wird das Buch „The World is Green – Nachhaltige Innovation und Supply Chain nach Corona“ publiziert, in dem Drees als Co-Autor mitwirkt. Dort erscheint auch ein Beitrag von Prof. Dr. Reinhold Kohler zum Thema „Sustainability Circular Economy Thoughts on Sustainability Solutions and Carbon Dioxide Reduction“. Das erste Buch in der Serie Supply Chain, “The World is Round” von Hajo Drees und Josip Tomasevic (CPO des US-Industriekonzerns AGCO), erschien im September 2021.
Der Text erschien im Wissens- und Transfermagazin TRIOLOG, Ausgabe 7.
Über die Hochschule Landshut:
Die Hochschule Landshut steht für exzellente Lehre, Weiterbildung und angewandte Forschung. Die sechs Fakultäten Betriebswirtschaft, Elektrotechnik und Wirtschaftsingenieurwesen, Informatik, Interdisziplinäre Studien, Maschinenbau und Soziale Arbeit bieten über 50 Studiengänge an. Das Angebot ist klar auf aktuelle und künftige Anforderungen des Arbeitsmarktes ausgerichtet. Die rund 4.600 Studierenden profitieren vom Praxisbezug der Lehre, der individuellen Betreuung und der modernen technischen Ausstattung. Für Forschungseinrichtungen und Unternehmen bietet die Hochschule eine breite Palette an Projektthemen, die von wissenschaftlichen Fachkräften mit bestem Know-how betreut und umgesetzt werden. Rund 120 Professorinnen und Professoren nehmen Aufgaben in Lehre und Forschung wahr.